Was ist Legasthenie?
Was genau ist Legasthenie?
Die Lese-Rechtschreib-Störung (LRS), auch als Legasthenie bekannt, stellt eine isolierte Störung des Schriftspracherwerbs dar.
Die betroffenen Kinder leiden unter ausgeprägten Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens. Auch das klassische Üben zu Hause bringt oft keine Verbesserung. Die Probleme beim Lesen und Schreiben sind sehr stabil und können ohne fachkundige Behandlung sogar stärker werden. Die Lese-Rechtschreibstörung ist nicht „heilbar“, aber überwindbar.
Der Begriff „Legasthenie“ wird ja im Alltag oftmals fälschlich gebraucht.
Leider ja, weshalb auch eine fundierte Diagnose erstellt werden muss.
Legasthenie ist nicht ‚Buchstaben verdreht schreiben‘, kein Zeichen mangelnder Intelligenz, keine allgemeine Bezeichnung für Kinder, die schlecht in Deutsch sind oder eine nette Umschreibung von „Faulheit“.
Wichtig ist auch, im Rahmen der Testung, generelle Hörprobleme oder motorische Probleme aus zu schließen.
Gibt es verschiedene Formen/ Schwergrade der Legasthenie?
Je nachdem welche Bereiche und wie viele davon betroffen sind, kann die Legasthenie stärker oder leichter ausgeprägt sein. Manche Betroffenen haben „nur“ Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung, andere wiederum haben Schwierigkeiten beim Schreiben und Lesen. Danach richtet sich auch die Dauer der Therapie, die ein bis zwei Jahre dauern kann. Das stellt natürlich eine Herausforderung auf vielen Ebenen (Durchhaltevermögen, Ausdauer, Motivation und auch finanzieller Aufwand) für die Eltern und Kinder dar. Meine Aufgabe als Trainerin ist es, realistische Ziele zu setzen und alle Beteiligten „bei der Stange“ zu halten.
Gibt es Frühzeichen?
Für das Lesen- und Schreibenlernen benötigen Kinder Vorkenntnisse, die für den Schriftspracherwerb ausschlaggebend sind. Vorhandene oder fehlende Kenntnisse der sogenannten „phonologischen Bewusstheit“, lassen Schlüsse auf einen positiven Verlauf im Erlernen von Lesen und Schreiben zu.
Unter phonologischer Bewusstheit im weiteren Sinne versteht man das Verstehen von sprachlichen Einheiten wie Wörtern und Silben. Aber auch Reime finden oder erkennen, welches von zwei Wörtern das längere ist. Diese Fähigkeit haben Kinder schon im Kindergartenalter.
Schulkinder sollten in der Lage sein, vorgesprochene Wörter zu analysieren: Hörst du in ‚Affe‘ ein ‚o‘? Mit welchem Laut beginnt das Wort ‚Katze‘? Auf welchen Laut endet das Wort ‚Apfel‘?
Mein Kind kann noch nicht lesen und schreiben: Was sollte ich beobachten?
Um eine Legasthenie zu diagnostizieren, muss das Kind schon das Lesen und Schreiben in gewissen Grundzügen erlernt haben. Eltern können aber schon lange vorher achtsam sein, was die allgemeine Sprachentwicklung angeht:
Kann mein Kind im letzten Kindergartenjahr schon alle Laute richtig aussprechen? Kann es grammatikalisch richtige Sätze bilden? Sind das Sprachverständnis und der Wortschatz altersgemäß?
Eltern haben ein sehr gutes Gespür für ihr Kind und bemerken auch im Vergleich mit Geschwisterkindern oder Gleichaltrigen Unterschiede in der Sprachentwicklung. Auch die Pädagoginnen im Kindergarten sind geschult darauf, Defizite zu erkennen und die Eltern darauf hinzuweisen. Sollte im Kindergarten keine Abklärung durch eine Logopädin durchgeführt werden, die Eltern aber befürchten, dass ihr Kind vielleicht Nachholbedarf im sprachlichen Bereich hat, sollten sie auf jeden Fall eine Logopädin aufsuchen.
Wer stellt die Diagnose bzw. testet mein Kind? Und zu welchem Zeitpunkt?
Grundsätzlich kann jede Pädagogin und jeder Pädagoge, wenn eine Störung des Lese- und Rechtschreiberwerbs offensichtlich ist, eine Legasthenie feststellen. Das Schulsystem kann so dem Umstand Rechnung tragen, dass die Mehrzahl der Legastheniefälle so offenkundig sind, dass deren Vorhandensein auch für Laien erkennbar ist.
Sollte eine Abklärung mit dem Ausstellen eines Bescheides gewünscht sein, sollten sich die Eltern an eine(n) klinische(n) Psycholog(e)in wenden, da bei jeder Legasthenieabklärung ein Intelligenztest gemacht werden muss, um eine Lernbeeinträchtigung auszuschließen. Die Kosten können dabei allerdings sehr variieren, in freier Praxis sind sie meist beträchtlich höher als in einer Institution – allerdings sind die Wartelisten dort auch entsprechend lang. Die Eltern sollten sich auf jeden Fall erkundigen, wie viele LRS - Testungen die/der Psychologin/e in freier Praxis schon gemacht hat, da eine gewisse Erfahrung bei der Testung sehr wichtig ist.
Gibt es sprachliche/ phonetische/ syntaktische Fähigkeiten die jedes Kind bis zu einem gewissen Alter können muss?
Vor dem Schuleintritt sollten Kinder keine Ausspracheprobleme mehr haben, die Grammatikkenntnisse vervollständigen sich mit der Zeit. Die Sätze sind lang und komplex, das Kind kann nun auch Passivsätze bilden (z.B. ‚Der Tisch wurde schon abgewischt.‘) oder indirekte Fragen formulieren (‚Ich frage mich, ob ich meine Puppe im Kindergarten vergessen habe.‘).
Es zeigen sich auch wesentliche Fortschritte im Erzählen von Erlebnissen und auch die Fähigkeit Geschichten nachzuerzählen entwickelt sich. Die Fragen des Kindes beziehen sich nicht mehr nur auf gegenwärtige Situationen, sondern entstehen beim Nachdenken.
Das Kind bekommt ein Gefühl für den Aufbau von Wörtern aus Lauten und Silben, es kann reimen (z.B. ‚Maus – Haus‘), Silben klatschen (z.B. ‚Kro-ko-dil‘) und gleiche Laute erkennen (z.B. ‚M-aus‘ und ‚M-und‘ beginnen mit ‚M‘).
Gewisse Einschränkungen oder Defizite: „verwachsen“ sich diese Dinge von selbst?
Kinder mit einer Legastheniediagnose machen genauso Fortschritte, wie alle anderen Kinder – nur eben langsamer. Nachdem sich die Klassenkameraden aber deutlich rascher beim Schreiben und beim Lesen weiterentwickeln als das legasthene Kind, wird die Schere und der Abstand immer größer. Zudem erleben legasthene Kinder ihren Schulalltag als ungleich belastender und haben weniger Erfolgserlebnisse. Und das, obwohl sie vielleicht mehr üben als die Klassenkollegen. Das führt zu einer Negativspirale, die im schlimmsten Fall zur Schulverweigerung führt.
Je älter ein betroffener Mensch wird, desto besser kann er vielleicht seine Schwierigkeiten kompensieren (Rechtschreibprogramme am Computer). Die Legasthenie bleibt allerdings ein Leben lang.
Was passiert genau in der Therapie?
Die ersten Dinge, die ich in der Therapie mache, sind ein aufklärendes Gespräch mit den Kindern. Natürlich wollen diese wissen: Was ist Legasthenie? Warum habe ich das? Was können wir miteinander bewirken? An zweiter Stelle steht eine quantitative Fehleranalyse. Anhand der Fehlerwörter aus den Schulheften untersuche ich dann, welche Teilbereiche wie stark betroffen sind. wie etwa fehlende Buchstaben, Groß/Kleinschreibung, oder auch Doppelbuchstaben, um nur einige zu nennen. Mit dem am stärksten betroffenen Bereich fangen wir dann an.
Jedes Kind bekommt pro Woche vier Hausübungen mit, die an vier verschiedenen Tagen zu machen sind. Kinder, die schon sehr lange zum Training kommen, brauchen oft ein Belohnungssystem, um motiviert zu bleiben. Die meisten bleiben aber erstaunlich lange und ausdauernd dabei, erst recht, wenn sie die eigene Verbesserung wahrnehmen!
Warum ist Legasthenietherapie anders als Schule und Hausaufgaben machen?
Legasthene Kinder müssen den Grund verstehen, warum man manchen Wörtern „anders“ schreibt, beispielsweise mit Doppelbuchstaben oder ‚stummen H‘.Sie brauchen viele Wiederholungen, prägnante Merksprüche, müssen Rechtschreibregeln auf vielen Ebenen „begreifen“ und über längeren Zeitraum einüben. Das kann viel Zeit in Anspruch nehmen. Zeit, die im Schulbetrieb einfach nicht zur Verfügung steht, da die Lehrkraft ja viele Schüler in der Klasse hat. In der Therapie habe ich den Luxus der 1:1 Situation, einen Raum, in dem Ruhe herrscht und viel Zeit.
In der Therapie soll das Kind Erfolgserlebnisse haben und merken, dass es sich verbessert, weil es ja viel zusätzliche Zeit und Energie für Schulisches aufbringt und investiert. Es ist auch wichtig, dass der Betroffene lernt seine Schwächen anzunehmen und damit umzugehen.
Die Eltern werden entlastet, da dieser doch sehr frustrierende Teil des Lernens, zumindest teilweise, ausgelagert wird. Außerdem berate ich die Eltern, wenn es um Fragen des Umgangs der Schule geht und bestärke sie, auch kleine Fortschritte wahr zu nehmen und sich mit ihrem Kind darüber zu freuen.
Welche begleitenden Faktoren begünstigen einen Lernerfolg? Was können die Eltern tun? Was können Lehrer tun?
Indem sie ein Legasthenietraining für ihr Kind suchen und Termine regelmäßig wahrnehmen, leisten die Eltern schon einen großen Beitrag. Weiters ist es wichtig, das Kind bei den Übungen zu unterstützen und es gleichzeitig viel selbständig erledigen zu lassen. Wichtig sind auch ein ruhiger Arbeitsplatz, klare Abläufe oder beispielsweise das Mitstoppen der Übungsphase.
Wertvollen Ausgleich schaffen außerschulischen Aktivitäten: Gerade Kinder, die in der Schule viel Druck verspüren und Misserfolge erleben, brauchen genügend Freizeitangebote, in denen sie sich kompetent und erfolgreich fühlen können ganz ohne Leistungsdruck.
Lehrer erlebe ich oft verunsichert, wenn ein Kind den Bescheid für Legasthenie bekommt, der übrigens für alle Fächer gültig ist. Dieser besagt ja ausschließlich, dass der Schüler aufgrund der Rechtschreibung nicht negativ beurteilt werden darf. Das bietet natürlich in Bezug auf die Frage „Wie viel darf ich an Unterstützung anbieten?“ keine Klarheit. Mein Ansatz ist, das Positive daran zu sehen! Es steht ja auch nicht da, was man nicht tun darf – somit ist alles an Unterstützung erlaubt und möglich!
Welche konkreten Maßnahmen in der Schule können Kindern mit Legasthenie helfen?
Die Bandbreite der möglichen Hilfen ist so groß wie es die Ausprägungen der Legasthenie: mündliches Abprüfen von Lerninhalten anstatt schriftlicher Tests, sogenannte Zwei- Phasen-Schularbeiten, bei denen das Kind sich die Schularbeit am nächsten Tag noch einmal durchlesen darf, lautes Vorlesen in der Klasse vermeiden, wenn das Kind sich dabei nicht wohl fühlt, vereinfachte Texte bei Textrechnungen, Rechtschreibfehler nicht in die Benotung einfließen lassen und viele andere Maßnahmen. Das Wichtigste ist jedoch, den Selbstwert des Kindes zu stärken, die Motivation zum Lernen und die Freude am Schulbesuch zu erhalten. Indem die Pädagogen individuelle Fortschritte anerkennen und das Kind nicht nur über seine Defizite im Vergleich zum Klassenverband definieren, kann das gut gelingen.
Die Lese-Rechtschreib-Störung (LRS), auch als Legasthenie bekannt, stellt eine isolierte Störung des Schriftspracherwerbs dar.
Die betroffenen Kinder leiden unter ausgeprägten Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens. Auch das klassische Üben zu Hause bringt oft keine Verbesserung. Die Probleme beim Lesen und Schreiben sind sehr stabil und können ohne fachkundige Behandlung sogar stärker werden. Die Lese-Rechtschreibstörung ist nicht „heilbar“, aber überwindbar.
Der Begriff „Legasthenie“ wird ja im Alltag oftmals fälschlich gebraucht.
Leider ja, weshalb auch eine fundierte Diagnose erstellt werden muss.
Legasthenie ist nicht ‚Buchstaben verdreht schreiben‘, kein Zeichen mangelnder Intelligenz, keine allgemeine Bezeichnung für Kinder, die schlecht in Deutsch sind oder eine nette Umschreibung von „Faulheit“.
Wichtig ist auch, im Rahmen der Testung, generelle Hörprobleme oder motorische Probleme aus zu schließen.
Gibt es verschiedene Formen/ Schwergrade der Legasthenie?
Je nachdem welche Bereiche und wie viele davon betroffen sind, kann die Legasthenie stärker oder leichter ausgeprägt sein. Manche Betroffenen haben „nur“ Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung, andere wiederum haben Schwierigkeiten beim Schreiben und Lesen. Danach richtet sich auch die Dauer der Therapie, die ein bis zwei Jahre dauern kann. Das stellt natürlich eine Herausforderung auf vielen Ebenen (Durchhaltevermögen, Ausdauer, Motivation und auch finanzieller Aufwand) für die Eltern und Kinder dar. Meine Aufgabe als Trainerin ist es, realistische Ziele zu setzen und alle Beteiligten „bei der Stange“ zu halten.
Gibt es Frühzeichen?
Für das Lesen- und Schreibenlernen benötigen Kinder Vorkenntnisse, die für den Schriftspracherwerb ausschlaggebend sind. Vorhandene oder fehlende Kenntnisse der sogenannten „phonologischen Bewusstheit“, lassen Schlüsse auf einen positiven Verlauf im Erlernen von Lesen und Schreiben zu.
Unter phonologischer Bewusstheit im weiteren Sinne versteht man das Verstehen von sprachlichen Einheiten wie Wörtern und Silben. Aber auch Reime finden oder erkennen, welches von zwei Wörtern das längere ist. Diese Fähigkeit haben Kinder schon im Kindergartenalter.
Schulkinder sollten in der Lage sein, vorgesprochene Wörter zu analysieren: Hörst du in ‚Affe‘ ein ‚o‘? Mit welchem Laut beginnt das Wort ‚Katze‘? Auf welchen Laut endet das Wort ‚Apfel‘?
Mein Kind kann noch nicht lesen und schreiben: Was sollte ich beobachten?
Um eine Legasthenie zu diagnostizieren, muss das Kind schon das Lesen und Schreiben in gewissen Grundzügen erlernt haben. Eltern können aber schon lange vorher achtsam sein, was die allgemeine Sprachentwicklung angeht:
Kann mein Kind im letzten Kindergartenjahr schon alle Laute richtig aussprechen? Kann es grammatikalisch richtige Sätze bilden? Sind das Sprachverständnis und der Wortschatz altersgemäß?
Eltern haben ein sehr gutes Gespür für ihr Kind und bemerken auch im Vergleich mit Geschwisterkindern oder Gleichaltrigen Unterschiede in der Sprachentwicklung. Auch die Pädagoginnen im Kindergarten sind geschult darauf, Defizite zu erkennen und die Eltern darauf hinzuweisen. Sollte im Kindergarten keine Abklärung durch eine Logopädin durchgeführt werden, die Eltern aber befürchten, dass ihr Kind vielleicht Nachholbedarf im sprachlichen Bereich hat, sollten sie auf jeden Fall eine Logopädin aufsuchen.
Wer stellt die Diagnose bzw. testet mein Kind? Und zu welchem Zeitpunkt?
Grundsätzlich kann jede Pädagogin und jeder Pädagoge, wenn eine Störung des Lese- und Rechtschreiberwerbs offensichtlich ist, eine Legasthenie feststellen. Das Schulsystem kann so dem Umstand Rechnung tragen, dass die Mehrzahl der Legastheniefälle so offenkundig sind, dass deren Vorhandensein auch für Laien erkennbar ist.
Sollte eine Abklärung mit dem Ausstellen eines Bescheides gewünscht sein, sollten sich die Eltern an eine(n) klinische(n) Psycholog(e)in wenden, da bei jeder Legasthenieabklärung ein Intelligenztest gemacht werden muss, um eine Lernbeeinträchtigung auszuschließen. Die Kosten können dabei allerdings sehr variieren, in freier Praxis sind sie meist beträchtlich höher als in einer Institution – allerdings sind die Wartelisten dort auch entsprechend lang. Die Eltern sollten sich auf jeden Fall erkundigen, wie viele LRS - Testungen die/der Psychologin/e in freier Praxis schon gemacht hat, da eine gewisse Erfahrung bei der Testung sehr wichtig ist.
Gibt es sprachliche/ phonetische/ syntaktische Fähigkeiten die jedes Kind bis zu einem gewissen Alter können muss?
Vor dem Schuleintritt sollten Kinder keine Ausspracheprobleme mehr haben, die Grammatikkenntnisse vervollständigen sich mit der Zeit. Die Sätze sind lang und komplex, das Kind kann nun auch Passivsätze bilden (z.B. ‚Der Tisch wurde schon abgewischt.‘) oder indirekte Fragen formulieren (‚Ich frage mich, ob ich meine Puppe im Kindergarten vergessen habe.‘).
Es zeigen sich auch wesentliche Fortschritte im Erzählen von Erlebnissen und auch die Fähigkeit Geschichten nachzuerzählen entwickelt sich. Die Fragen des Kindes beziehen sich nicht mehr nur auf gegenwärtige Situationen, sondern entstehen beim Nachdenken.
Das Kind bekommt ein Gefühl für den Aufbau von Wörtern aus Lauten und Silben, es kann reimen (z.B. ‚Maus – Haus‘), Silben klatschen (z.B. ‚Kro-ko-dil‘) und gleiche Laute erkennen (z.B. ‚M-aus‘ und ‚M-und‘ beginnen mit ‚M‘).
Gewisse Einschränkungen oder Defizite: „verwachsen“ sich diese Dinge von selbst?
Kinder mit einer Legastheniediagnose machen genauso Fortschritte, wie alle anderen Kinder – nur eben langsamer. Nachdem sich die Klassenkameraden aber deutlich rascher beim Schreiben und beim Lesen weiterentwickeln als das legasthene Kind, wird die Schere und der Abstand immer größer. Zudem erleben legasthene Kinder ihren Schulalltag als ungleich belastender und haben weniger Erfolgserlebnisse. Und das, obwohl sie vielleicht mehr üben als die Klassenkollegen. Das führt zu einer Negativspirale, die im schlimmsten Fall zur Schulverweigerung führt.
Je älter ein betroffener Mensch wird, desto besser kann er vielleicht seine Schwierigkeiten kompensieren (Rechtschreibprogramme am Computer). Die Legasthenie bleibt allerdings ein Leben lang.
Was passiert genau in der Therapie?
Die ersten Dinge, die ich in der Therapie mache, sind ein aufklärendes Gespräch mit den Kindern. Natürlich wollen diese wissen: Was ist Legasthenie? Warum habe ich das? Was können wir miteinander bewirken? An zweiter Stelle steht eine quantitative Fehleranalyse. Anhand der Fehlerwörter aus den Schulheften untersuche ich dann, welche Teilbereiche wie stark betroffen sind. wie etwa fehlende Buchstaben, Groß/Kleinschreibung, oder auch Doppelbuchstaben, um nur einige zu nennen. Mit dem am stärksten betroffenen Bereich fangen wir dann an.
Jedes Kind bekommt pro Woche vier Hausübungen mit, die an vier verschiedenen Tagen zu machen sind. Kinder, die schon sehr lange zum Training kommen, brauchen oft ein Belohnungssystem, um motiviert zu bleiben. Die meisten bleiben aber erstaunlich lange und ausdauernd dabei, erst recht, wenn sie die eigene Verbesserung wahrnehmen!
Warum ist Legasthenietherapie anders als Schule und Hausaufgaben machen?
Legasthene Kinder müssen den Grund verstehen, warum man manchen Wörtern „anders“ schreibt, beispielsweise mit Doppelbuchstaben oder ‚stummen H‘.Sie brauchen viele Wiederholungen, prägnante Merksprüche, müssen Rechtschreibregeln auf vielen Ebenen „begreifen“ und über längeren Zeitraum einüben. Das kann viel Zeit in Anspruch nehmen. Zeit, die im Schulbetrieb einfach nicht zur Verfügung steht, da die Lehrkraft ja viele Schüler in der Klasse hat. In der Therapie habe ich den Luxus der 1:1 Situation, einen Raum, in dem Ruhe herrscht und viel Zeit.
In der Therapie soll das Kind Erfolgserlebnisse haben und merken, dass es sich verbessert, weil es ja viel zusätzliche Zeit und Energie für Schulisches aufbringt und investiert. Es ist auch wichtig, dass der Betroffene lernt seine Schwächen anzunehmen und damit umzugehen.
Die Eltern werden entlastet, da dieser doch sehr frustrierende Teil des Lernens, zumindest teilweise, ausgelagert wird. Außerdem berate ich die Eltern, wenn es um Fragen des Umgangs der Schule geht und bestärke sie, auch kleine Fortschritte wahr zu nehmen und sich mit ihrem Kind darüber zu freuen.
Welche begleitenden Faktoren begünstigen einen Lernerfolg? Was können die Eltern tun? Was können Lehrer tun?
Indem sie ein Legasthenietraining für ihr Kind suchen und Termine regelmäßig wahrnehmen, leisten die Eltern schon einen großen Beitrag. Weiters ist es wichtig, das Kind bei den Übungen zu unterstützen und es gleichzeitig viel selbständig erledigen zu lassen. Wichtig sind auch ein ruhiger Arbeitsplatz, klare Abläufe oder beispielsweise das Mitstoppen der Übungsphase.
Wertvollen Ausgleich schaffen außerschulischen Aktivitäten: Gerade Kinder, die in der Schule viel Druck verspüren und Misserfolge erleben, brauchen genügend Freizeitangebote, in denen sie sich kompetent und erfolgreich fühlen können ganz ohne Leistungsdruck.
Lehrer erlebe ich oft verunsichert, wenn ein Kind den Bescheid für Legasthenie bekommt, der übrigens für alle Fächer gültig ist. Dieser besagt ja ausschließlich, dass der Schüler aufgrund der Rechtschreibung nicht negativ beurteilt werden darf. Das bietet natürlich in Bezug auf die Frage „Wie viel darf ich an Unterstützung anbieten?“ keine Klarheit. Mein Ansatz ist, das Positive daran zu sehen! Es steht ja auch nicht da, was man nicht tun darf – somit ist alles an Unterstützung erlaubt und möglich!
Welche konkreten Maßnahmen in der Schule können Kindern mit Legasthenie helfen?
Die Bandbreite der möglichen Hilfen ist so groß wie es die Ausprägungen der Legasthenie: mündliches Abprüfen von Lerninhalten anstatt schriftlicher Tests, sogenannte Zwei- Phasen-Schularbeiten, bei denen das Kind sich die Schularbeit am nächsten Tag noch einmal durchlesen darf, lautes Vorlesen in der Klasse vermeiden, wenn das Kind sich dabei nicht wohl fühlt, vereinfachte Texte bei Textrechnungen, Rechtschreibfehler nicht in die Benotung einfließen lassen und viele andere Maßnahmen. Das Wichtigste ist jedoch, den Selbstwert des Kindes zu stärken, die Motivation zum Lernen und die Freude am Schulbesuch zu erhalten. Indem die Pädagogen individuelle Fortschritte anerkennen und das Kind nicht nur über seine Defizite im Vergleich zum Klassenverband definieren, kann das gut gelingen.