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"Mein erster 'Einser'!"


Lena (Name geändert) geht in die 3. Klasse Volksschule. Sie ist ein lebhaftes Mädchen, das gerne malt und mit ihren Freundinnen spielt. In der Schule versteht sie sich gut mit den anderen Kindern in der Klasse und mag ihre Lehrerin. Ihre Lieblingsfächer sind Turnen und Werken, auch Mathematik macht ihr Spaß. Nur das Fach Deutsch ist ein rotes Tuch für sie. „Ich kann nicht so gut lesen und beim Schreiben mach ich immer ganz viele Fehler.“


Lena hat Legasthenie (auch LRS = Lese-Rechtschreib-Störung genannt) und damit ist sie nicht alleine. Im Durchschnitt gibt es pro Klasse ein bis zwei Schüler, die unter dieser Verarbeitungsstörung leiden.
Dabei ist Lena weder dumm noch faul, im Gegenteil. Sie übt sogar meistens mehr für Ansagen als die anderen in der Klasse. Aber auch wenn die Wörter zu Hause vielleicht richtig geschrieben sind, beim Diktat passieren dann doch wieder sehr viele Fehler. Das frustriert Lena und auch ihre Mama und manchmal ist die Hausübungssituation so angespannt, dass es Streit und Tränen gibt.

Julia Sonnleitner ist Logopädin und Legasthenietrainerin im Diakonie Zentrum Spattstraße in Linz und kennt solche Szenarien gut: „Die meisten Eltern, die mit ihren Kindern zu mir zum Training kommen, sind mit den Nerven am Ende. Die Übungssituation ist derart belastet, dass es oft sogar zur Verweigerung durch die Kinder kommt. Eine meiner Aufgaben ist es, alle Beteiligten zu entlasten, zielgenaue und für das Kind individuelle Übungen zusammenzustellen und für Erfolgsmomente zu sorgen. Dann kann dieser Teufelskreis von erfolglosem Lernen und Enttäuschungen unterbrochen werden und stattdessen, dank positiver Erlebnisse, die Freude an der Schule wieder zurückkehren!“

Sonnleitner arbeitet seit über 10 Jahren in der „Spatti“ und hatte bei ihrer Ausbildung zur Legasthenietrainerin die Familien im Hinterkopf, die von den Mitarbeiterinnen dort betreut werden. „Als ich erfuhr, dass eine Trainingseinheit bis zu 50 Euro kostet und die wöchentliche Therapie bis zu zwei Jahre dauern kann, war mir klar, dass ‚unsere‘ Familien sich eine derartige Unterstützung ihrer Kinder nie leisten könnten. Ein erfolgreicher Schulabschluss sollte aber gerade bei Kindern mit der Beeinträchtigung Legasthenie keine Frage der Herkunft oder des Geldes sein!“
Deshalb schlug sie vor, ein Projekt für kostenfreies Training auf die Beine zu stellen – sie stieß bei der Geschäftsführung auf offene Ohren und bekam gleich die nötige Unterstützung.

Seit Jänner 2016 konnten sieben Kinder das Training in Anspruch nehmen. Und der Erfolg spricht für sich. Bei den Teilnehmern, die über ein bis zwei Jahre betreut wurden, konnte in der Verlaufskontrolle eine Verbesserung festgestellt werden, auch die Noten wurden besser. Alle Eltern berichten über eine Erleichterung der Übungssituation zu Hause. Was den Kindern wohl am besten gefällt, ist, dass die Legastheniehausübung nicht von den Eltern verbessert werden darf!
„Das freut die Kinder immer diebisch – und gibt mir die Chance zu sehen, ob das Erarbeitete schon umgesetzt werden kann oder noch mehr beübt werden soll“, lacht Sonnleitner.

Immerhin sind neben dem wöchentlichen Training jede Woche vier Hausübungen an vier unterschiedlichen Tagen zu erledigen, wobei pro Hausübungsblatt nicht länger als 10-15 Minuten gearbeitet werden soll.
„Es ergibt keinen Sinn, die Kinder länger ‚ackern‘ zu lassen“, erklärt Sonnleitner. „Schließlich sollen die Mädchen und Buben bei der Stange bleiben und die Motivation nicht verlieren. Eltern und Kinder brauchen einen langen Atem, um bei der Legasthenietherapie Erfolge zu sehen! Manche Themenbereiche werden über viele Wochen bearbeitet, bis eine Rechtschreibregel sitzt. Diese dann in einen Fließtext zu übernehmen ist noch einmal ein schwieriger Sprung. Meine Aufgabe ist es auch, realistische Ziele zu setzen und den Betroffenen klar zu machen, dass die LRS nicht weggehen wird. Die Kinder können aber lernen, gut damit umzugehen!“

So wie Lena, die nach einem Jahr Therapie endlich ihren ersten ‚Einser‘ bei einem Sachkundetest geschafft hat und wahnsinnig stolz ist: „Ich hab ja eh immer alles gewusst. Jetzt konnte ich halt zum ersten Mal auch wirklich alle Fragen fertig lesen und beantworten!“


Ein Dankesbrief für Julia Sonnleitner zu Beginn der Sommerferien.
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